Das Chaos des Engels

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Das Chaos des Engels

Ich gehe nicht gern ins Gericht. Das Gebäude ist schon einschüchternd, die Luft meist staubtrocken im wahrsten Sinne: denn bei Sonnenschein tanzen die Staubkörner in den Strahlen, die durchaus in großer Zahl die langweiligen Flure erhellen. In der dunklen Jahreszeit, wenn die Leuchtröhren an der Decke flimmern, sieht man umso mehr Ballen aus Haaren und anderem Dreck auf dem Fußboden, und sie bewegen sich jedesmal, wenn ein Mensch hier entlanggeht. Es gibt auch noch die Uniformierten mit ihren Stabdetektoren, wobei die Staatstrachten – die Uniformen – hier irgendwie schlechter sitzen als etwa in Polizeirevieren. So kommt es mir jedenfalls vor. Last but noch least betrete ich das Gericht jedesmal mit einem diffusen Schuldgefühl, fast wie ehedem eine katholische Kirche mit Blick auf die Beichtstühle.
Ich muss nicht erwähnen, dass ich keine Gesetze breche, aber eine gedrückte Stimmung stellt sich im Gerichtsgebäude immer ein. Dabei bin ich öfter hier, in meiner Eigenschaft als Journalist. Gerichtsreporter nenne ich mich nicht, die Stelle ist der Redaktion frei, und ich werde zu interessanten Verhandlungen eben geschickt: einer muss es ja machen. Ich bin Lokalreporter, das unterschreibe ich, aber zu einem Gerichtsreporter würde ich nur mutieren, wenn ich mal Lust auf eine Depression hätte. Mir gefällt nichts hier, weder die langen Flure, die alten Fenster, die spärlich verteilten Stühle vor einzelnen Zimmern. Und die Menschen, die hier arbeiten, gefallen mir auch nicht, da muss ich meine Vorurteile bekennen. Im altehrwürdigen Amtsgericht der Stadt arbeiten Zombies, das ist meine These.

Heute bin ich wegen einer Lokalgröße hier, die Steuern hinterzogen haben soll. Was die ganze Sache schon weniger spektakulär macht. Es gibt Gerüchte, wonach er unschuldig und alles üble Nachrede ist. Wenn ich aber den Artikel schreibe, und der Mann ist vermutlich wirklich schuldig, dann bleibt mir wenig Anderes als an niedere Instinkte zu appellieren. Von wegen wir alle zahlen brav unsere Steuern, der Kerl aber hat viel Geld und mogelt sich raus. Oder er hat den Betrug, die Hinterziehung, zumindest versucht. Persönlich kenne ich den Mann nicht, und wie ich ihn so auf der Anklagebank neben seinem Anwalt sehe, wirkt er wie ein Klischee-Gangster. Finsteres Gesicht, unrasiert. Man traut ihm auf Anhieb einen Mord zu. Warum geht es hier nur um Steuern für die Staatskasse? Aber dann höre ich, dass der Mann drei Bordelle besitzt, und seine Verteidigerin meint, es seien Vorzeigebetriebe, die Rechte der Frauen würden durchgehend beachtet werden. Hier, mit den Etablissements, macht er wohl den Großteil seines Vermögens. Das glaubt der Laie schon, also ich, aber überdies sollen seine Huren offenbar schwarz arbeiten, laut der Anklage. Das habe ich bisher nicht gewusst, niemand in der Redaktion oder in der wirtschaftlichen Abteilung der Stadtverwaltung geht offenbar von so etwas aus. Der Richter trägt aber recht genüsslich aus Beweisunterlagen der Anklage vor.
„Sie haben, wie es in Rotlichtkreisen offenbar heißt, erstklassige Ware am Start. Gemeint sind die Sexarbeiterinnen, die für sie dem erwerbsmäßigen Geschlechtsverkehr nachgehen. Damit ist es sehr unwahrscheinlich, dass Ihre öffentlichen Darlegungen, die Bordelle wären wenig frequentiert worden und hätten kaum etwas abgeworfen, der Wahrheit entsprechen. Ihre Stellungnahme?“

„Mein Mandat hat so etwas nie gesagt. Hier möchte er sich nicht äußern.“
„Gut. Ich habe hier ein paar Zeugenaussagen, besser: Zeuginnenaussagen, so sagt man heute ja wohl. Allesamt sind dies Bekundungen von Frauen, die in den Bordellen tätig waren. Die Stellungnahmen reichen von der Eröffnungszeit der Etablissements bis zum Anfang dieses Jahres. Darin steht, dass eine Dame nicht Feierabend machen durfte, ehe sie sechshundert Euro verdient hatte. Verdient und abgegeben, beim jeweiligen Hausverwalter. Denn die Frauen bekamen am Ende des Monats einen Lohn von in der Regel dreitausend Euro. Jede der Frauen musste durchschnittlich an zwanzig Abenden im Monat ran, macht zwanzig mal sechshundert Euro mindestens, also zwölftausend Euro. Wenn eine Frau nicht arbeiten konnte, nutzte eine Springerin das Zimmer. Soviel – also rund zwölftausend im Monat – hat auch jede Zeugin über einen längeren Zeitraum hinweg mindestens eingebracht. Herr A., Sie verdienten also zwölftausend minus dreitausend Gehalt, sprich neuntausend Euro mit jeder Hure. In den drei Bordellen haben sie zeitgleich insgesamt achtundzwanzig Sexarbeiterinnen in den Zimmern arbeiten lassen. Ich komme also auf zweihundertzweiundfünfzig Tausend Euro Einnahmen. Sie geben in der Steuererklärung an, allerdings nur zweiundfünfzig Tausend pro Monat gemacht zu haben. Behaupten Sie also, Sie hätten in den Häusern, die in Ihrem Besitz sind ziemlich genau zweihunderttausend Euro Ausgaben gehabt?“
„Mein Mandat gibt dazu an, dass Sie Spekulationen vorgetragen haben, wie es schon die Staatsanwaltschaft tat. Er sagt, die Steuererklärung ist nachträglich manipuliert worden, er hat sie so nie abgegeben. Es gibt offenbar Versuche der Konkurrenz, ihn zu verleumden. Er hat in jedem Monat des letzten Jahres den Frauen viel weniger abgenommen oder von ihnen erhalten, als eben noch spekuliert wurde. Wieviel die Frauen unrechtmäßigerweise vielleicht in die eigene Tasche gewirtschaftet hätte, könne er aber nicht sagen.“
Das ist sehr amüsant, wie der Richter hier vorträgt und mit welcher Miene er die Einlassungen des Verteidigers quittiert. Offensichtlich glaubt er davon kein einziges Wort.
Plötzlich geht aber die Tür auf, laut und heftig, und eine blonde Gestalt schreitet in den Gerichtssaal. Mir wird augenblicklich ganz anders. Ich sehe noch, dass alle Anwesenden, der Richter, die beiden Schöffen, die Anwälte und die zehn bis fünfzehn Leute auf den Publikumsstühlen die Augen aufreißen. Und höre, wie Schreie ertönen und dann jeder Lärm verstummt. Dann ist die Frau neben mir, eine Anwältin, mit einem Mal ganz dicht an meiner Seite. Hautnah ist sie, und die Dame ist jung, hübsch. Sie gefällt mir – und sie küsst mich mitten auf den Mund. Ich fühle eine fremde Zunge zwischen meinen Lippen. Ich werde gestreichelt, die Frau knöpft mein Hemd auf. Nun kann auch ich mich nicht mehr halten, ich presse die Fremde an mich, streichle ihren Rücken und den Po. Sie hat herrliche Hinterbacken, finde ich, die ich fest durchkneten kann. Die Massage ist Penetrationsvorbereitung pur. Die Frau schält sich irgendwie aus ihrem Talar, macht sich den BH auf. Vorne ist der Verschluss, nicht hinten. Wie seltsam. Dann zieht sie den Talar über den fast nackten Leib! Warum nur? Ist sie jetzt, in einem Gerichtssaal, etwa korrekter gekleidet? Ich bin verwirrt, überrascht, aber dann muss ich ihren Busen massieren. Sie presst meine Hände darauf, während wir uns immer weiter und immer spuckefeuchter küssen.
Für einen Moment kann ich mich umsehen. Der Richter knutscht mit der Schöffin zu seiner Rechten, der andre Schöffe – ja, er fickt seine Kollegin von hinten! Die Staatsanwältin zur Rechten ist halbnackt und windet sich am Boden mit der Rechtsanwältin der Verteidigigung. Die Menschen des Publikums sind ebenfalls auf ganz eindeutige Weise miteinander zugange. Das Ganze ist hier eine Orgie, kein Zweifel, und in dem ehrwürdigen, verstaubten Gerichtssaal spüre ich, wie meine unbekannte Partnerin meine Hose öffnet und mir bedeutet, den Hintern anzuheben. Sie zieht mir Hose und Unterhose aus, die Frau verliert keine Zeit. Dann beginnt sie mir einen zu blasen.
Die blonde Gestalt, eine Frau wohl, die vor wenigen Minuten herein gekommen ist, sie drückt den Angeklagten an ihre Brust. Die Gestalt selbst ist angezogen, ein blaues Kleid sehe ich, und dazu passende, sehr schicke Schuhe. Der angeklagte Bordellbetreiber aber ist bis auf seine Unterhose mit Tigermuster nackt. Nackt, behaart, dickleibig. Und so reibt er sich an der Gestalt, die lächelt, den Mann aber irgendwie gar nicht weiter beachtet. Stattdessen schaut sie sich im Saal um. Unsere Blicke treffen sich.
Sie lächelt noch ein wenig mehr. Und ich muss den Blick abwenden.

Dann bin ich aber ganz bei der Frau, die meinen Schwengel lutscht. Die hübsche Anwältin in ihrem Talar, eine Nebenanwältin offenbar… Ich kann mich plötzlich nur noch auf sie konzentrieren und muss unbedingt in sie eindringen! Es gibt nichts Dringenderes für mich. Die Dame legt sich hin, rafft den Talar hoch. Sie kommt mir noch mehr entgegen und reißt sich den Schlüpfer vom Leib. Spreizt die Beine. Auch sie, die nette Anwältin, lächelt. Aber sie wirkt seltsam dabei, eher gierig als freundlich. Und sie sieht mich nicht an. Sie starrt auf meinen Ständer, packt ihn mit einer Hand, setzt ihn an ihrem Schlitz an. Die Vulva ist das Ziel. Da ist ein militärisches Flair, und die Vorstellung einer Zielscheibe. Ich möchte an Darts denken, was ziviler ist, aber noch immer unpassend. Die Vulva verschluckt den Pimmel praktisch, und die Scheide der Juristin ist nass. Ich juble über den Erfolg. Zwischen den Beinen der Dame ist es nicht feucht, sondern wirklich nass, fast sprudelt es aus der Frau heraus. Ich bin mit einem Stoß am Ziel meiner eigenen Gier, und dann poppe ich, was das Zeug hält.
Der Akt ist viel zu schnell zu Ende. Aber gleichzeitig bin ich irgendwie froh, am Ziel zu sein, den Job erfüllt zu haben. Meine fremde Partnerin grinst und schaut mich immer noch nicht an, eher durch mich hindurch. Und sie verharrt, mit den Beinen links und rechts von mir in der Luft. Ob sie auch einen Orgasmus hatte? Ich will sie nicht fragen, wir haben ja auch sonst noch kein Wort miteinander gewechselt. Gevögelt haben wir, das war´s, und all das kommt mir jetzt seltsam vor. Ich kann mich wieder umschauen, eben noch schien das unmöglich. Die Gestalt ist weg! Ich kann das blaue Kleid nirgends erkennen, das Kleid nicht und auch den Glanz, die von der Erscheinung ausging.
Ich schaue mich jetzt im Saal um und bin völlig verblüfft. Der Richter zieht sich aus der Schöffin zurück und schließt seine Hose wieder. Er ist rot im Gesicht und sehr verlegen, keine Frage. Der männliche Schöffe lässt die Brüste der Frau los, beide ziehen sich rasch wieder an. Das machen alle hier, genau genommen. Alle stehen auf, wenn sie gerade gelegen und gepoppt haben, ziehen sich an und blicken verwirrt und beschämt um sich. Die Orgie ist definitiv zu Ende. Ich selbst kann nicht anders, ich muss lachen und verlasse dann, immer noch sehr amüsiert, den versauten Gerichtssaal.
In der Redaktion glaubt mir keiner, als ich bloß andeute, was da im Gericht passiert ist. Ich habe keine Fotos als Beweismittel, weil man ja dort in den Verhandlungssälen nicht knipsen darf. Nur mein Freund Bertie, der Mann für den Lokalsport nimmt mich am Ende unserer kleinen Besprechung zur Seite.
„Du hast uns gerade nicht angelogen, oder?“
„Nein, Bertie. Habe ich nicht“, sage ich so ruhig wie möglich. „Und wie gesagt, ich habe keine Ahnung, was da los war. Ich glaube sogar, keiner im Gerichtssaal wusste, was ihm und den Anderen passiert ist. Alle haben sich in Grund und Boden geschämt über ihr Verhalten.“
„Aber du nicht, oder?“
„Nein, ich nicht. Ich war nur verblüfft und dann – na ja, belustigt. Und ich suchte nach einer Erklärung, warum wir alle uns so versaut und völlig enthemmt benehmen konnten, in Anwesenheit aller Anderen.“
„Weil die Frau in Blau dich angelächelt hat“, sagte mein Freund zu meiner Überraschung. „Das hast du doch gesagt, oder?“
„Ja, habe ich. Und sie hat mich ja auch angesehen. In dem Moment konnte ich mich überhaupt nicht mehr halten und musste die Frau neben mir, diese Anwältin, unbedingt rammeln. Wirklich, ich musste einfach! Ich meine, sie kam mir ja entgegen, sie wollte auch…“
„Schon gut“, winkte er ab. „Du musstest wirklich drauflos vögeln. Und zwar egal wen. Ich kenne das, ich habe das auch erlebt!“
Und dann erzählte mir Bertie seine wundersame Geschichte. Er war zu Gast bei einem der Amateur-Fußballvereine, über die er schreibt, es gab eine Feier. Der Vorsitzende hatte Geburtstag – und trat während der Feier zu seinen Ehren von seinem Posten zurück. Er schlug zugleich den Mann als seinen Nachfolger vor, den ich im Gericht als Angeklagten getroffen hatte. Den Mann mit der Tiger-Unterhose. Die umgehend startende Orgie im Versammlungssaal offenbarte meinem Kollegen dieses intime Detail. Und auch hier war das Treiben sonderbar, extrem tabulos und völlig unerwartet. Nur an die Dame in Blau konnte er sich nicht erinnern.

ENDE

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